Problem Führerscheintourismus
06.09.2006
52 707 Führerscheine wurden im ersten Halbjahr 2005 durch Gerichte in Deutschland eingezogen. Mehr als 47 000 Fälle gingen auf Alkohol am Steuer zurück. 25 032 entzogene Führerscheine durch die Verwaltungsbehörden kamen im ersten Halbjahr 2005 hinzu. Die Gerichte sollen den Verstoß des Autofahrers "maßregeln" (§ 69 StGB) und ihn zur Besserung erziehen. 2004 mussten 153 482 Autofahrer ihre "Pappe" nach einem Urteil der Strafrichter abgeben. Zu einer MPU mussten im Jahr 2005 mehr als 104 000 Autofahrer. Zahlen, die bei einer Tagung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates in Bonn bekannt wurden.
Die "Führerscheinerlaubnisbehörde" (FEB) entzieht die Fahrerlaubnis, wenn "sich jemand als zum Führen eines Kfz ungeeignet erweist". Also bei 18 Punkten in Flensburg, bei 14 bis 17 Punkten ohne Teilnahme an einem behördlich verordneten Aufbauseminar oder wenn der Fahrzeuglenker sonst auffällig wird. Auch hier folgt in der Regel eine Sperrfrist von mindestens sechs Monaten, dann folgt eine Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU), im Volksmund "Idiotentest" genannt. Hier fallen etwa 45 Prozent der Getesteten durch, auch wenn die Vorbereitung in entsprechenden Aufbaukursen den Experten zufolge immer besser wird.
Doch immer mehr Autofahrer nutzen eine Rechtslücke, um im Ausland ihre Fahrerlaubnis neu zu machen. Der so genannte "Führerscheintourismus" sorgte und sorgt in grenznahen Regionen Polens und Tschechiens für einen regelrechten Wirtschaftsboom. Tschechien hat dem einen Riegel vorgeschoben, der Führerscheinneuling muss nachweisen, dass er sechs Monate im Jahr in Tschechien wohnt. Deshalb ist Polen jetzt Traumziel der "Führerscheintouristen". Dort macht der Verkehrssünder in einem "Crashkurs" den Führerschein neu, weil in Polen nicht kontrolliert wird, ob der "Tourist" dort auch einen ordentlich Wohnsitz besitzt. Im Internet wird das offen und offensiv beworben. Seit einem Urteil des EuGH vom 29.04.2004 dürfen die deutschen Behörden einem solchen Führerschein weder einziehen, noch die Anerkennung verweigern.
Die Lösung sieht das Bundesverkehrsministerium in der dritten EU-Fahrerlaubnisrichtlinie. Dort soll unter anderem der internationale Datenaustausch zwischen den FEBs dafür sorgen, dass zum Beispiel der polnische Sachbearbeiter zuerst in Deutschland anfragt, ob über den Menschen, der einen neuen Führerschein beantragt, etwas vorliegt. Wie das mit 18 Sprachen funktionieren soll und wer diesen Vorgang bezahlt, ist unklar. Deshalb, so Professor Dieter Müller von der Hochschule der Sächsischen Polizei, ist dieser Ansatz wohl zum Scheitern verurteilt. Brüssel´s Mühlen mahlen langsam. Bis ein entsprechender Beschluss, der im Jahr 2007 kommen soll, umgesetzt wird, kann es dauern. 8000 bis 10 000 Autofahrer in Deutschland sind mit einem Führerschein unterwegs, der in Nachbarländern unter Umgehung des Wohnsitzprinzips erworben wurden. Die hohen deutschen Standards beim Erwerb des Führerscheins werden dabei ad absurdum geführt. Das strenge deutsche Verkehrsrecht wird Müller zufolge in anderen EU-Ländern kritisch gesehen, Die anderen Mitglieder fühlen sich - so der Experte - "gegängelt". Der Fortsetzung des Wirtschaftsbooms an der Deutsch-Polnischen Grenze werden also vorläufig keine Grenzen gesetzt. (ar/sb)
Von Stephan Bähnisch
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