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Die mid-Zeitreise: Fahrbericht Suzuki RF 600 R - Klassenkampf

09.04.2021
Die mid-Zeitreise: Fahrbericht Suzuki RF 600 R - Klassenkampf

mid Groß-Gerau - Die Suzuki RF 600 R aus dem Jahr 1993 sticht bereits optisch. Die schlanke Vollverkleidung mit den Luftschlitzen wie bei Ferrari schmiegt sich eng um den Brückenrahmen aus Stahl. Foto: Archiv Motor-Informations-Dienst (mid)
Am 23. August 1993 berichtete der Motor-Informations-Dienst (mid) im 38. Jahrgang über die Suzuki RF 600 R.

Die 600er Klasse hat sich etabliert. Bezeichnete man damals die 750 ccm-Riege - nicht nur im Rennsport - noch als die Königsklasse, darf man jetzt die 600 ccm-Bike als die Könner-Klasse titulieren. Könner-Klasse deshalb, weil diese eher leichtgewichtigen und gleichzeitig leistungsstarken Maschinen sehr viel an Fahrspaß bieten können. Suzuki bereichert diese gehobene Mittelklasse jetzt mit dem Modell RF 600 R. Sie ist quasi die Ablösung der GSX 600 F, die mit ihrem gutmütigen Charakter und 64 kW/86 PS dem harten Leistungsdruck des Wettbewerbs nicht mehr ganz gewachsen war. 74 kW/100 PS bzw. versicherungsgünstigere 72 kW/98 PS sind mittlerweile state of the art bei den 599 ccm-Bikes.

Nun denn, die Suzuki RF 600 R sticht bereits optisch. Die schlanke Vollverkleidung mit den Luftschlitzen wie bei Ferrari schmiegt sich eng um den Brückenrahmen aus Stahl. Der rechteckige Scheinwerfer und sein Drumherum und vor allem die Ufo-ähnlich gestylte Rückfront sorgen für weitere Aufmerksamkeit. Und das nicht nur vor der Disco. Lobenswert ist auch die einfarbige Lackierung, die sich wohltuend von den oftmals eher aggressiven Farbkombinationen auf dem Motorradmarkt abhebt. Die RF ist mit 72 kW/98 PS bei 11.500 Kurbelwellenumdrehungen und einem maximalen Drehmoment von 62 Nm bei 9.500 Umdrehungen alles andere als untermotorisiert. Die 599 ccm Hubraum verteilen sich auf vier Zylinder in Reihe, sind wasser-/ölgekühlt und verfügen über Tassenstößel für den Ventiltrieb. Ein Druck auf das E-Starter-Knöpfchen und die Suzie erwacht zum Leben - um auch gleich wieder auszugehen, es sei denn, man hat ihr via Choke eine großzügige Gemischanreicherung spendiert. Ist die Warmlaufphase jedoch erst einmal überwunden, hängt die RF willig am Gas. 3.000 Touren und die Fuhre läuft rund. 5.000 U/min und man schwimmt im Stadtverkehr vorne mit. 7.000 Rotationen und der Vierzylinder legt los. Die 10.000er Marke ist im Nu überwunden, da kommen schon 13.000 Umdrehungen. Jetzt der nächste Gang, um weg vom roten Drehzahlbereich zu kommen. Doch immer eine freie Strecke vorausgesetzt, denn sonst hat man an der Beschleunigungsorgie nur ganz kurzfristig Freude. Die Suzuki benötigt also Drehzahlen, bei Tempo 100 immerhin schon 5.000. Bei der Höchstgeschwindigkeit von 235 Tacho-Kilometern - langliegend auf dem Tank - signalisiert der Drehzahlmesser 12.400 U/min. Das Triebwerk läuft eher rauh, ist mechanisch nicht gerade leise und vibriert. Letzteres spürt man insbesondere dann, wenn man einige Zeit mit konstanter Drehzahl fährt: die Finger unter den dünnen Handschuhen kribbeln. Stellt die Laufkultur doch unterm Strich zufrieden, kann man das von dem Trinkgebaren der Suzuki nicht behaupten. Sieben Liter Normalbenzin als Durchschnittswert auf 100 km sind für eine moderne Verbrennungsmaschine zu viel und nicht zeitgemäß. Neun Liter Verbrauch sind einfacher zu erreichen als die Unterschreitung von 5,5 Litern. Der Tank fasst 17 Liter und ist damit für 200 km Reichweite gut.

Normalerweise hat man nach dieser Distanz bereits auf Reserve umgeschaltet und saugt die letzten fünf Liter Benzin ab. Die Reserveleuchte ist gut gemeint, warnt jedoch bereits oftmals nach 150 gefahrenen Kilometern und damit zu früh vor der kommenden Reserveumschaltung. Die Kupplung lässt sich mit geringen Handkräften bedienen. Das Sechsgang-Getriebe ist gut abgestuft, lässt sich aber nicht geräuschlos handhaben. Der Motor hängt so gut am Gas, dass das leichte Spiel im Antriebsstrang bei einer Gaswegnahme sofort auffällt.

Das Fahrverhalten ist sicher. Auch bei Höchstgeschwindigkeit liegt die RF mit ihren 17 Zoll-Rädern ruhig auf der Bahn. Spurrillen müssen andere Bikes in Verlegenheit bringen. Auf der Landstraße besticht die Kettenmaschine durch Handlichkeit, Lenkpräzision und Schräglagenfreiheit. Sportliches Fahren macht Spaß und das bereits nach kurzer Eingewöhnung. Es würde jedoch noch mehr Lust bereiten, wenn die Federelemente sensibler ansprechen würden. Die Telegabel vorne ignoriert kleinere Bodenwellen und gibt sie ungefiltert weiter, während das hintere Zentralfederbein auf schlechten Straßen schnell in die Federprogression geht und für herzhaft wenig Entlastung sorgt. Dem verwindungssteifen Fahrwerk der Suzie gereicht es zur Ehre, dass man mit ihr dennoch schnell und sportlich unterwegs sein kann. Die entspannte Sitzposition bietet einen guten Kompromiss aus Alltags- und Sportlichkeit.

Die Verkleidungsscheibe ist lobenswerterweise so gestaltet, dass man auch bei 180 km/h noch recht windgeschützt unterwegs ist. Der Beifahrer beurteilt die 600er jedoch aus anderer Sicht: Längeres Ausharren auf dem hinteren Notsitz kann Freundschaften schon strapazieren. Pluspunkte sammelt sie 220 kg schwere Maschine für das Fach unter dem Sitzbankhöcker und den verstellbaren Handbremshebel. Minuspunkte gibt es indes für den fehlenden Hauptständer, die schlechte Zugänglichkeit zur Einstellung des hinteren Federbeines und für die dünne Sitzbankpolsterung. Instrumente, Bedienungselemente und Spiegel sind einfach gestaltet, erfüllen aber ihren Zweck. Der große Wasserkühler lässt die Betriebstemperatur auch bei leistungsfordernder Hatz nicht aus dem blau-kalten Bereich herauskommen. Mit 13.740 DM tritt die Suzuki RF 600 R relativ preiswert an zum Klassenkampf. Ein wenig Modellpflege nebst besserer Verarbeitung und sie hätte den Preisvorteil gegenüber dem Wettbewerb als Verkaufsargument nicht mehr nötig.


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