Kreativität auf Volkswagen-Basis
28.05.2021
mid Heilbronn - 27 Fahrzeuge von 16 Herstellern standen am Weingut Steinbachhof in der Nähe von Heilbronn bei der großen Frühjahrsschau von Volkswagen Nutzfahrzeuge zur Besichtigung bereit. Foto: VWN
Wohnmobile "brummen" wie schon lange nicht mehr. Und damit sind nicht die weit überwiegend verbauten Euro 6-Dieselmotoren gemeint. Branchenriese Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN) stellt deshalb jetzt einmal mehr Kompetenz bei Reisemobilen unter Beweis und hält mit Caddy, Bulli, Crafter und Amarok jedes denkbare Basisfahrzeug bereit. 27 Fahrzeuge von 16 Herstellern stehen am Weingut Steinbachhof in der Nähe von Heilbronn zur Besichtigung und für Fachgespräche mit den Anbietern zur Verfügung. Der Motor-Informations-Dienst (mid) zeigt die Trends. Trotz oder wegen Corona laufen Verkäufe und Zulassungen von Reisemobilen auf "Höchstdrehzahl". Allein im April 2021 wurden 8.510 Reisemobile in der Bundesrepublik neu zugelassen, das zweitbeste Ergebnis für den Monat jemals. Seit Januar 2021 wurden 27.568 Reisemobile in Deutschland neu in den Verkehr gebracht, 39,2 Prozent mehr als in den ersten vier Monaten des Vorjahres und ein neuer Rekord für diesen Zeitraum. Auch gebrauchte Wohnmobile sind gefragt und die Preise steigen.
Reisen mit dem Wohnmobil ist nach Überzeugung der Kunden offenbar auch in Corona-Zeiten und mit Einschränkungen individuell, autark, kontaktarm und sicher. Den Geschmack von Freiheit und Abenteuer verbinden Reisemobilisten mit dieser Fahrzeuggattung ohnehin seit jeher. Der große Boom bei den Reisemobilen macht dieses sprießende Marktsegment auch für die Fahrzeughersteller immer interessanter. Sie buhlen um Marktanteile und Präsenz in jeder denkbaren Fahrzeugkategorie und Größe. So auch Volkswagen Nutzfahrzeuge bei seiner großen Frühjahrsschau. Die weit überwiegende Zahl zeigt Ausbauten des seit Jahrzehnten beliebten VW Bulli in seiner sechsten Generation. Am Start sind Branchenriesen wie Reimo sowie professionelle, individuelle, kreative T6-Komplettausbauten von Fischer, Köhler, Spacecamper, Terracamper, Terranger, Tonke, Vanufaktur und Werz.
Gerade beim VW T6 Bulli zeigt sich dabei der Trend zu Allradantrieb, sowie zu immer mehr voll Off-Road tauglichen Fahrzeugen. Luftfederung mit variabler Bodenfreiheit, Niveauausgleich im Stand über die Luftfederung, größere Räder und Reifen mit martialischem Profil, hochgelegte Luftansaugung, Rockslider, komplette Unterboden-Schutzverkleidungen sowie clevere Seilwinden für vorne und hinten legen zum Beispiel bei Terranger die Vermutung nahe, dass viele T6-Camper von der ganz großen Freiheit in Südamerika zumindest träumen. Ausgetüftelte Panorama-Ausstelldächer mit zahlreichen Öffnungsmöglichkeiten bringen dabei auch in Europa die Sterne zum Greifen nahe.
Der intensive Wettbewerb unter den Herstellern entzündet die volle Schaffenskraft der Gestalter und zahlreiche Ausstattungs-Varianten zum Nutzen der Kunden. Wer glaubt, auf nur fünf Quadratmetern Grundfläche müsste der Gestaltungswille irgendwann erschöpft sein, sieht sich positiv enttäuscht. Bei SpaceCamper wird im "Classic Open" nicht nur "jeder Kubikzentimeter Raum" bis zur Klapptoilette in der Schiebetür optimiert, sondern auch ein sekundenschneller, einfacher Umbau von der Sitzbank zum kompletten, bequemen Bett dargestellt. Die Rücksitzlehne ist, genial einfach, von beiden Seiten gepolstert und bildet, nach vorne geklappt, einen Teil des bequemen Bettes.
Ebenso kreativ, wenn es um das Bett geht, zeigt sich Traditions-Ausbauer Fischer aus Reutlingen. Bei seinem "Octo-Bus" werden die Liegeflächen unten und im Hochdach nicht weggeklappt oder verschoben, sondern flink, einfach und platzsparend aufgerollt. Das Verbundsystem aus Lattenrost und spezieller Matratze erweist sich zudem als sehr bequem und optimal belüftet.
Mit einem komplett neuen T6-Raumkonzept überrascht Newcomer Queensize Camper mit Geschäftsführer und Schiffsbau-Ingenieur Christopher Weiss aus Hamburg. Der Küchenblock des "Inside Two" mit Herd, Kühlschrank und Waschbecken ist über die gesamte Fahrzeugbreite quer hinter den drehbaren Vordersitzen eingebaut. Die beiden Elemente der Küchenzeile können mit wenigen Handgriffen in der Höhe verändert und ganz oder teilweise ausgebaut und außen genutzt werden. Clou ist ein Frisch- und Abwassertank, der durch eine Membran getrennt, variabel gleichzeitig für beides dient. These: es kann nur so viel Abwasser anfallen, wie Frischwasser verbraucht wurde und beides zusammen passt in einen Tank. Das Konzept verblüfft außerdem mit einer herausnehmbaren Kassetten-Toiletten-Waschbecken-Kombination im Heck und einer neuen Bettanordnung in der Mitte des Fahrzeugs. Die Sitzflächen der Vordersitze werden dabei einbezogen.
Für die kleinen und preiswerten Fluchten im T6 stellen zwei Hersteller ihre herausnehmbaren Campingboxen mit Bettfunktion vor. Kisten-Pioneer Ququq blickt zum Beispiel mit der "Busbox und Kombibox" auf eine zehnjährige Erfahrung von mehr als tausend Einbauten. Solide, aber auch recht gewichtig nach dem Flight-Case Prinzip. Los geht es bei 2.500 Euro. Auf das untere Ende der Gewichts- und Preisskala setzt sich Neuling Detail3 mit seinem Modulsystem "Osccar" aus dünnen, besonders leichten, aber stabilen Alu-Dibond-Platten, die modular konfigurierbar sind. Es startet bei 1.785 Euro.
Während bei den T6-Kastenwagenausbauten Komplettpreise ab 52.000 Euro und, je nach Ausstattung des Basisfahrzeugs, bis zu 130.000 Euro aufgerufen werden, zeigt ein Fahrzeug die Grenzen des technisch und finanziell leistbaren auf T6-Basis: Terranger spendiert einem T6 4Motion-Fahrgestell beim "DC-34 6x6" einen vollständig mit Originalteilen verlängerten Rahmen und eine hydraulisch gebremste dritte Achse, die in Zukunft mit zwei Elektromotoren zusätzlich oder alleine für Vortrieb und auch Rekuperations-Bremsungen sorgen soll. Mit einer Kress-Ausbaukabine und SCA-Aufstelldach werden hier je nach Ausstattung zwischen 150.000 und 250.000 Euro fällig.
Auf dem bereits ausgelaufenen VW Amarok mit Doppelkabine zeigen wiederum zwei Hersteller das Spektrum der Möglichkeiten. Auf der einen Seite die Traditionsfirma "Tischer" mit ihrer immer weiter verbesserten, bewährten Absetzkabine "Trail 230 S" mit Alkoven-Bett. Der Grundriss mit Seitenheckeinstieg, separatem Bad, Vierer-Sitzgruppe und Zweierbett überzeugt durch hohen Komfort und volle Stehhöhe. Das Gewicht beträgt 750 Kilo für die Kabine bei einer Fahrzeughöhe von 3,10 Metern. Inklusive Amarok kostet der Aufbau ab 99.000 Euro. Einen extrem anderen kreativen Ansatz demonstriert erneut Queensize Camper mit seiner Premiere "Flip90 -Pickup". Der Aufbau aus ultraleichten Kunststoff-Wabenplatten entfaltet sich erst nach einer 90-Grad-Drehung und einem über die Basis gestülpten Heckteil zu seiner vollen, doppelten Größe. Der Prototyp lässt noch Feinschliff und Wohnlichkeit vermissen, stellt aber bei nur 250 Kilogramm Gewicht ausgeklappt erstaunlich viel Raum zur Verfügung. Der Amarok - wenn auch schon in Rente - wird die zusammengefaltet kompakte und flache Kabine kaum spüren. Spürbar ist aber auf jeden Fall, dass bei so viel Kreativität und Auswahl der Reisemobilmarkt wohl auch in Zukunft weiter "brummen" wird.
Christoph Reifenrath / mid
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