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Zwischen Hoffen und Bangen: Das Motorradjahr 2007

19.02.2007
Die Motorradindustrie ist im Jahr 2007 im Bezug auf den deutschen Markt hin- und hergerissen zwischen Optimismus und Pessimismus. Froh stimmt die anziehende Konjunktur und gesteigerte Konsumfreudigkeit, während die Mehrwertsteuererhöhung deutliches Stirnrunzeln hervorruft. Ob die Zweiradbranche hierzulande weiterhin im Tal der Tränen verharrt oder so langsam die Sonne wieder scheint, mag niemand vorherzusagen. Sicher ist nur: Es gibt eine ganze Menge Modellneuheiten.

Beim Blick auf die Masse der komplett neu angebotenen Motorräder fällt auf, dass in der Saison 2007 wiederum die Vernunft eine starke Triebfeder des Handelns ist. Es gibt in der Hubraum- und Leistungs- Mittelklasse ein noch größeres Angebot, und wo noch vor Jahren potenzielle Kunden nach dem Prinzip "friss oder stirb" sich nur zwischen einigen wenigen Bikes entscheiden konnten, haben Kaufinteressenten inzwischen eine echte Auswahl zu bisweilen sogar bezahlbaren Preisen.

Natürlich hat deswegen noch keiner der Hersteller in der prestigeträchtigen Kategorie der Supersportler dem Streben nach mehr Leistung bei vermindertem Gewicht abgeschworen. Um die zweifelhafte Ehre streiten sich in diesem Jahr die 146 kW/198 PS starke MV Agusta F4 C.C., ein auf 100 Exemplare limitiertes Sondermodell für 100 000 Euro, und die Ducati Desmosedici RR, ein 147 kW/200 PS starker Moto-GP-Renner mit Straßenzulassung für rund 55 000 Euro. Ob eines dieser edlen Teile jedoch jemals im regulären Straßenverkehr zu sehen sein wird, darf ernsthaft bezweifelt werden. Da nun auch Ducati in der immer populärer werdenden Moto GP mit Siegfahrzeugen an den Start geht, wird die Konkurrenz bei den straßenzugelassenen Asphaltbrennern noch größer, was die neue Ducati 1098 beweist, die vom derzeit stärksten Zweizylinder-Serienmotor der Welt mit 119 kW/160 PS Leistung angetrieben wird.

Dieses Segment besitzt in puncto Schnelligkeit - und Schnelllebigkeit - sowieso eigene Gesetze, deswegen werden Supersportler im Zweijahresrhythmus überarbeitet. Turnusmäßig präsentiert daher Honda für die aktuelle Saison die CBR 600 RR, Kawasaki die Ninja ZX-6 R, Suzuki die GSX-R 1000 sowie Yamaha die YZF-R1. Alle Neuen sind natürlich dem Vorgängermodell meilenweit überlegen, und wer am Stammtisch ernst genommen werden will, muss sich selbstverständlich sofort das aktuelle Bike zulegen. Denkt sich die Zweiradindustrie so.

Weniger von Leistung, Gewicht und Geschwindigkeit, sondern mehr von Alltagstauglichkeit, Sicherheit und Komfort lassen sich Allrounder-Fahrer beeindrucken. Sie finden auch in der Mittelklasse ein immer breiteres Spektrum attraktiver Modelle, von denen erfreulich viele inzwischen bereits ab Werk mit ABS ausgestattet sind oder bei denen die elektronische Bremsunterstützung zumindest optional erhältlich ist. Dass Motorradfahrer tatsächlich lieber zum unspektakulären Bike greifen, zeigt die Liste der beliebtesten Neuzulassungen. In den Top Ten finden sich sieben Allrounder: BMW R 1200 GS auf Platz 1, gefolgt von der Honda CBF 1000 und der Honda CBF 600 S. Auf Rang vier liegt die Kawasaki ER-6n, dahinter die Yamaha FZ6 Fazer sowie auf den Plätzen sechs und neun die Suzuki Bandit 650 und die Suzuki Bandit 1200.

Ein leises Comeback feiern in diesem Jahr die Cruiser. Nachdem etliche Hersteller das Hubraummaximum ausgelotet haben, stehen nun viele neue Modelle mit rund einem Liter Hubraum in den Schaufenstern: Honda VT 750 Shadow Spirit, Kawasaki VN 900 Custom, Moto Guzzi 940 Custom und Yamaha XVS 1300 A Midnight Star. Einen wahren Kraftakt stemmte Harley-Davidson, die den größten Teil ihrer legendären Bikes nun mit einem neuen, Euro-3-tauglichen V-Twin ausgestattet haben. Dazu gehört auch die legendäre Fat Boy, die ansonsten kaum verändert wurde. Das Lenkradrohr ist nun dicker und verfügt ü ber eine innenliegende Kabelführung.

Einen großen Schritt beim Wandel der Marke von eher behäbig und konservativ zu jung, sportlich und frisch dokumentiert in diesem Jahr BMW. Mit den drei neuen Einzylindern der G-Baureihe XCountry, XChallenge und XMoto (X als "cross" gesprochen) präsentieren die Münchner attraktive Untersätze nicht nur für jugendliche Einsteiger. Und mit der HP2 Megamoto treten die Weiß-Blauen erneut den Beweis an, dass sie auch anders können als nur langweilig.

Starke Neuheiten nicht nur für Cross- und Supermotoexperten kommen auch von KTM. Seine Kompetenz als ernstzunehmender Hersteller von Straßenmotorrädern wollen die Österreicher mit der Super Duke 990 unterstreichen, die überarbeitet wurde, und mit der komplett neuen Super Duke 990 R eine Streetfighter-Version zur Seite gestellt bekommt.

Wenig neues kommt von Triumph, dafür aber eine ordentlich überarbeitete Tiger. Nach wie vor lassen es sich die Briten nicht nehmen, die Reiseenduro mit einem Dreizylindermotor anzutreiben. Dabei hat sie knapp 100 ccm zusätzlichen Hubraum auf jetzt 1055 ccm hinzugewonnen und leistet damit 84 kW/115 PS. Auch die Optik des Bikes wurde verändert. Die Front ist wesentlich aggressiver gestaltet. In der Summe wirkt die Tigerin nun dynamischer als die Vorgängerin. Das Heck wurde hochgezogen, so dass der Fahrer in der entstandenen Sitzmulde nun eine noch aufrechtere Sitzposition einnimmt, als er sie ohnehin auf einer Reiseenduro hat. Seit in Italien die meisten Marken unter dem Dach der Piaggio Group wirtschaftlich gesichert entwickeln und bauen dürfen, warten im neuen Jahr verschiedenste attraktive Modelle auf Käufer: Aprilia zeigt vier Neuheiten für 2007, Moto Guzzi hat drei neue Bikes.

Und was kommt aus Japan? Es scheint, als habe man im Fernen Osten die Bremse angezogen: Honda und Yamaha geizen völlig mit echten Neuheiten. Die spektakuläre B-King von Suzuki war bereits fünf Jahre lang als Studie auf Motorradmessen herumgereicht worden und Honda liefert überarbeitete Versionen bewährter Modelle wie das Naked Bike Hornet 600, das nun über einen Leichtmetall- statt Stahlrahmen verfügt. Kawasaki präsentiert immerhin das neue Fun Bike Versys, hat aber gleichzeitig die Premiere des Super-Sport-Tourers 1400 GTR mit einer Leistung von rund 140 kW/190 PS um ein Jahr verschoben.

Grundsätzliche Trends sind bei den Neuheiten für 2007 nicht erkennbar. Es gilt offenbar das Motto, die "Nische in der Nische" zu finden und die Hoffnung, damit vielleicht einen Treffer, sprich überraschenden Verkaufserfolg zu landen. Aus sicherheitstechnischer Sicht erfreulich ist, dass ABS immer selbstverständlicher wird und sich inzwischen zu einem wichtigen Verkaufsargument gemausert hat. Aber auch Komfort ist im Kommen: Mit der 55 kW/75 PS starken und rund 190 km/h schnellen Mana 850 bietet Aprilia ab Herbst 2007 als erster Hersteller ein Motorrad mit Automatik an; der Motor treibt auch den Gilera-Roller GP 800 V2 an. Die Italiener scheinen nach Yamaha mit der halbautomatischen FJR 1300 AS die Zeichen der Zeit erkannt zu haben, denn Biker werden bekanntlich immer älter. Gut dran ist in Zukunft also derjenige Produzent, der den rüstigen Senioren etwas bieten kann. Vielleicht ist gerade dies der Mega-Trend, auf den alle so sehnsüchtig warten. Werner Wagner/mid mid/ww


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