Porsche Fahrwerkstechnik: Leicht, leichter, Cayman
26.05.2005
Leicht, leichter, Cayman - von einer solchen Gleichung träumen die Porsche-Entwickler in Weissach. Am 26. November 2005 kommt der Cayman S auf den Markt, ein Zweisitzer auf Basis der Boxster-Baureihe mit einem neu entwickelten Sechszylinder-Boxermotor, der aus 3,4 Liter Hubraum 217 KW (295 PS) leistet, den Mittelmotor-Sportwagen in 5,4 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h und bis auf 275 km/h Höchstgeschwindigkeit befördern soll.
Ein schwere Klotz schafft solche Werte nicht, deshalb setzt Porsche beim Cayman auf konsequenten Leichtbau: Der Neuling bringt gerade einmal 1340 Kilogramm auf die Waage. Dieses bedeutet: Jedes PS muss sich nur um 4,6 Kilogramm kümmern (ein exzellentes Leistungsgewicht), dass sich in äußerst sportlichen Fahrleistungen manifestiert.
So besteht der Cayman zu 48 Prozent aus Stahl, 42 Prozent aus Aluminium, drei Prozent Magnesium, zwei Prozent Kunststoff und fünf Prozent anderen Materialien. Besonders beim Fahrwerk findet sich fast ausschließlich Aluminium, allein der Querstabilisator besteht aus einem Rohr aus nahtlos geschweißtem hochfesten Stahl. Welche Gewichtsvorteile Aluminium bringt belege nur ein Beispiel: Der Vorderachsquerträger aus Aluminium-Druckguss ist bei gleicher Funktion und Festigkeit 30 Prozent leichter als Stahl. Und am Radträger zeigt sich die Leichtigkeit der Entwicklung: Das Ding wog 1988 noch 5,541 Kilogramm. Heute ist es nicht nur deutlich größer und funktionaler, sondern auch um exakt 32,7 Prozent leichter.
Auch der neue kommende Cayman besitzt die Fahrdynamikregelung namens PSM (Porsche Stability Management). Die Aufgabe des Systems ist es, bei Überschreitung des Grenzbereichs das Auto durch gezielten Eingriff in Motormanagement und Bremssystem sowohl in Längs- als auch Querrichtung zu stabilisieren. Die Techniker haben PSM im Fahrversuch so getrimmt, dass der sportliche Charakter des Cayman nicht durch zu frühe Zügelung unterdrückt wird. Auch die modernste Fassung des PSM arbeitet mit einem elektronischen Gaspedal, das über einen Sensor nur noch elektrische Signale an die Motronic liefert und über einen Stellmotor die Drosselklappe betätigt. Durch E-Gas, wie das Ding kurz heißt, optimiert das Ansprechverhalten des Motors, senkt den Verbrauch durch optimale Anpassung der Drosselklappenstellung an das Kennfeld und minimiert die Abgasemissionen. PSM ist in seiner jüngsten Ausformung volle drei Kilogramm leichter als sein Vorgänger und so abgestimmt, dass es bei unverhofftem Annähern an die physikalisch gegebenen Grenzen eine kurze, aber entscheidende Hilfe gewährt. Das heißt für den ambitionierten Piloten: PSM greift erst kurz vor dem Abflug ein. Doch wer es richtig fliegen lassen will, dass die Fliegen an die Seitenscheiben klatschen, der sollte PSM nach wie vor abschalten. Das gilt für den 911, wo PSM seit 1998 zum Einsatz kommt, das wird auch für den Cayman gelten.
PCCB hingegen kann man nicht abschalten, will man aber auch gar nicht. Die vier Buchstaben stehen für Porsche Ceramic Composite Brake, die allen derzeit bekannten Bremsen überlegen ist. PCCB setzt Maßstäbe auf dem Gebiet der Bremsentechnologie. Das gilt für so entscheidende Kriterien wie Ansprechverhalten auf trockener und nasser Fahrbahn, Fading, Gewicht und Lebensdauer. Die Herstellung obliegt dem Spezialisten SGL Carbon in Meitingen bei Augsburg, der auch in die PCCB-Entwicklung von Anfang an mit eingebunden war. Der aufwändige Produktionsprozess der Bremsscheiben aus Carbonfaser und Siliziumcarbid dauert mehr als einen Tag. Genau dosierte Mengen der Carbonfaser werden mit flüssigen Polymeren zu einer klebrigen Masse von Kohlenstofffasern verarbeitet, die in "Backformen" thermisch verdichtet wird. Dabei härtet der Polymer-Anteil aus, ein formstabiler CFK-Bremsscheiben-Rohling entsteht. Die ausgehärteten Rohlinge werden anschließend in einem Pyrolyse-Ofen carbonisiert. Alle Polymer-Anteile, die nicht aus reinem Kohlenstoff bestehen, werden bei knapp 1000 Grad Celsius unter einer Stickstoffatmosphäre weitestgehend in Kohlenstoff umgewandelt. Das Ergebnis dieser Produktionsstufe heißt Carbon-Bremsscheibe und kommt in der Formel-1 zum Einsatz. Um sie in hochfeste Keramik-Bremsscheiben umzuwandeln, folgt der letzte, entscheidende Schritt, die Silizierung im Hochvakuum-Ofen. Bei exakt 1420 Grad Celsius wird Silizium flüssig wie Wasser, und die perforierte Carbon-Scheibe saugt das Silizium auf wie ein Schwamm. Nach dem Abkühlen hat man eine Bremsscheibe mit dem Härtegrad 9,7 das Ding ist fast so hart wie ein Diamant: Der hat den Härtegrad 10. Eine solche Bremse besteht locker leicht den Porsche-Härtetests, den übrigens auch die "normale" Bremse mit ihrem Aluminium-Monobloc-Festsattel über sich ergehen lassen muss: 25 Bremsungen aus 247 km/h auf 100 km/h mit voller Beschleunigung zwischen den Bremsphasen. Dabei zeigen die Bremsen kein Fading und erfordern auch bei der 25. Bremsung den gleichen Pedaldruck wie bei der ersten.
Deutlicher Vorteil der PCCB sind das deutlich bessere Ansprechverhalten und die gegenüber der Graugußscheibe rund 25 Prozent höheren Reibwerte. Das bedeutet klare Vorteile bei Notbremsungen: PCCB erfordert weder hohe Pedalkräfte noch irgendwelche technischen Hilfsmittel, die in Sekundenbruchteilen die maximale Bremskraft an beiden Achsen aufbauen helfen. PCCB liefert sofort und ohne starken Druck aufs Bremspedal eine maximale Verzögerung - auch ohne Bremsassistent. Bei extremen Belastungen wie bei Rennen oder ambitionierten Passfahrten wird die Keramikbremsscheibe bis zu 800 Grad Celsius heiß - erheblich heißer als eine konventionelle Graugußscheibe. Doch das steckt die Keramikscheibe locker weg. Eine Graugußscheibe neigt dagegen zur Wärmedehnung, was an ihrer Oberfläche zu Wellenbildungen führen kann. Da die Bremsbeläge dann nicht mehr glatt an der Scheibe anliegen können, kommt es zum Bremsenrubbeln. Das bedeutet, Komforteinbußen durch Pulsation im Hydrauliksystem, Anregung der Vorderachse und Drehschwingungen im Lenkrad. Rund 8000 Euro wird PCCB als Option für den Cayman kosten, aber dafür hält die Bremse auch ein Autoleben lang. 300 000 Kilometer Laufleistung nennt Porsche als Haltbarkeitsgröße für die Hochleistungsbremse.
Das optionale PASM (Porsche Active Suspension Management) verbindet zwei Fahrwerke in einem: ein sportlich komfortables fürs Reisen und ein betont sportliches für die schnelle Tour. PASM wechselt auf Knopfdruck die Dämpferkennung und schafft so den Spagat zwischen einem sportlich-komfortablen und einem äußerst sportlichen Fahrwerk. Und dann gibt es noch Typologie "Chrono": Es umfasst modifizierte Motorkennfelder und Regelstrategien für eine bessere Ausnutzung der Grenzbereiche. Diese per Tastendruck aktivierbare Individualausstattung umfasst unter anderem auch eine Analog-/Digital-Stoppuhr auf der Instrumententafel, mit der der Fahrer die fahrdynamischen Vorteile auf die Hundertstelsekunde genau kontrollieren kann und selbst auf der Rundstrecke eine gute Figur macht.
Mit dem neuen Cayman S liefert Porsche Ende des Jahres einen Mittelmotor-Sportwagen, der den Stand der Leichtbautechnik repräsentiert - im Blech und unter dem Blech. Aber auch die Porsche-Ingenieure räumen ein, dass die Entwicklung zum noch leichteren Fahrzeug sich verlangsamen wird, denn bei den Materialien scheint man an gewisse natürliche Grenzen zu stoßen. Das Potential liegt danach nicht in noch mehr Magnesium und Kunststoff, sondern in der Optimierung der Prozesse. (ar/rpb)