Fahrberichte

Porsche 911 Turbo: Der klebt an der Straße

07.03.2006
Tief verschneit präsentierte sich das Porsche-Testgelände in Weissach beim diesjährigen Technik-Workshop des schwäbischen Sportwagenbauers. Die Fahrbahnen selbst waren zwar geräumt, aber feucht und zum Teil von tiefen Schmelzwasserpfützen bedeckt. Das ließ keine Porsche-typischen Fahrleistungen erwarten, zumal bei Temperaturen um die null Grad auch Eisglätte nicht ausgeschlossen war. Die Teilnehmer sahen es anfangs nicht ohne klammheimlich Freude, dass der für den Juni angekündigte neue Porsche 911 Turbo jetzt nicht sein volles Potenzial würde entfalten können.

Doch er konnte. Offensichtlich unbeeindruckt zog der Porsche 911 Turbo mit bei diesen Verhältnissen scheinbar unvernünftiger Geschwindigkeit über die Bahn, mal in einer Bugwelle von Schmelzwasser verschwindend, mal den Schnee vom Fahrbahnrand aufwirbelnd. Damit war jedem eindrucksvoll vor Augen geführt: Die spektakulärste Errungenschaft des neuen Turbo ist sein Allradantrieb, das Porsche Traction Management (PTM).

Das PTM teilt der Vorderachse stufenlos und schlupfunabhängig in weniger als 0,1 Sekunden das notwendige Antriebsmoment zu. Sollte die Hinterachse mal auf Glatteis stehen, können so bis zu 100 Prozent des Moments an die Vorderachse geleitet. Aber die ausgezeichnete Traktion auch auf glatten Straßen ist nur einer der Vorteile des neuen Systems. Wesentlicher ist die Auswirkung auf die Fahreigenschaften. Beim Kurvenfahren wächst die Agilität und bei Schnellfahrten im Bereich der Höchstgeschwindigkeit von 310 km/h die Stabilität.

Die Verknüpfung des PTM mit den Sensoren des ESP-Systems Porsche Stability Control (PSM) gelingt den Weissacher Entwicklern ein deutlicher Schritt nach vor bei der aktiven Sicherheit. Der Turbo denkt mit; denn ein kurzes Kommando des Fahrers am Lenkrad hin, beendet der Allradantrieb durch die Verteilung der Momente auf die Achsen sowohl Über- als auch Untersteuern. Das ESP wird bei diesem Fahrwerk zu einem echten Notanker.

Klar, dass ein solcher Antrieb sich für beste Rundenzeiten eignet, zumal das PTM auch schon beim Start hilft: Fuß auf die Bremse, Motor hochdrehen und beim Loslassen der Bremse schieben alle 350 kW (480 PS) mächtig nach vorn. Seinem Vorgänger nimmt er damit schon gleich einmal 20 Meter bis 30 Meter ab und passiert (mit Tiptronic-Automatik) die 100-km/h-Marke nach 3,7 Sekunden.

44 kW oder 60 PS mehr leistet der neue Sechszylinder mit 3,6 Litern Hubraum. Der Zugewinn an Leistung und an rund 60 Newtonmeter (Nm) Drehmoment vorwiegend einer neuen Turbolader-Technologie zuzuschreiben. Porsche arbeitet jetzt mit variablen Turbinengeometrie (VTG). Das Prinzip kennt man schon von der Doppelaufladung beim BMW-Diesel, bei der erst ein kleiner Lader für den Druck bei niedrigen Drehzahlen sorgt und gleichzeitig den großen Lader anschiebt, der dann die hohen Drehzahlen übernimmt., Beim Porsche VTG findet ein ähnlicher Vorgang in nur einem Lader statt, in dem die Luftmengen elektronisch geregelt werden. Das Ergebnis ist ein maximales Drehmoment von 620 Nm im enorm breiten Drehzahlband von 1800 bis 5000 Umdrehungen pro Minute.

Die Aerodynamiker haben ihr Ziel erreicht. Der Turbo hat vorn und hinten einen negativen Auftriebsbeiwert. Je schneller, desto besser "klebt" er an der Straße. Das ist das Ergebnis der Veränderungen am Unterboden und des neuen Spaltflügels am Heck, der bei 120 km/h ausfährt und sich bei 60 km/h wieder zurückzieht. Neu bei diesem Turbo ist auch die Belüftung der Hinterachs-Bremsanlage.

Was sich auf den ersten Blick wie eine Petitesse liest, erweist sich auf den zweiten als eine technische Meisterleistung in einer Zeit, in der ein Neuer stets fünf bis zehn Prozent schwerer ausfällt als der Alte: Der neue Porsche 911 Turbo ist um 5 Kilogramm leichter als sein Vorgänger. Dafür sind jetzt nicht nur die Motorhaube aus Aluminium, sondern auch beide Türen, wobei allein die Türen eine Gewichtsersparnis von 14 Kilogramm bringen und sonst noch an vielen Stellen viele Gramm eingespart wurden. Der neue Turbo wiegt 1585 Kilogramm.

Im Schnee in Weissach zeigten sich die Workshop-Teilnehmer beeindruckt. Es sieht so aus, als habe Porsche mal wieder das Maß der Dinge auf vier breite Reifen gestellt. So etwas hat natürlich seinen Preis, der Porsche 911 Turbo wird in Deutschland mehr als 133 000 Euro kosten. Wohl dem, der's hat. (ar/Sm)

Von Peter Schwerdtmann


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