Fahrberichte

AMG-Familie: PS-Fetisch oder Reihenhaus

05.04.2006
Willkommen in der AMG-Familie. Wenn die jüngsten Modelle sich zum Treffen versammeln, stehen runde 3500 Newtonmeter (Nm) Drehmoment und mehr als 2500 PS bereit, solventen Kunden das Leben zu versüßen. Superlative werden hier gleich reihenweise aufgestellt: 1000 Nm Drehmoment im SL 65 AMG sind nicht neu, aber immer noch nachhaltig beeindruckend. Der stärkste Serien-Saugmotor weltweit mit bis zu 514 PS und bis zu 630 Nm befeuert gleich sechs Mitglieder der inzwischen auf 16 Sprößlinge angewachsene AMG-Familie aus Affalterbach. M-Klasse, CLK und demnächst auch die R-Klasse dürfen Leistung satt aus 6,3 Litern Hubraum schöpfen. Hier gilt die alte Devise: "Hubraum ist durch nichts zu ersetzen."

Mercedes AMG 65 S-Klasse, CLK 63 AMG, und SL 65 AMG (von inks). Foto: Auto-Reporter "Wer braucht das?" werden sich viele fragen. Doch die Ingenieure vom AMG richten sich nach den Wünschen ihrer Kunden. Und das sind mittlerweile mehr als 20 000 im Jahr. Die Preisspanne sollte noch genannt werden, bevor das Schwärmen beginnt. Im CLK kostet das AMG-Paket 87 597 Euro, das Cabriolet ist ab 93 322 Euro zu haben. Für die M-Klasse sollte der Kunde 96 164 Euro übrig haben. Wem die acht Zylinder nicht reichen: 612 PS warten in V12-Biturbo darauf, gefordert zu werden. Ein Bonus wird nicht gewährt. Die S-Klasse kostet als AMG 65 mindestens 206 224 Euro, der SL 206 132 Euro. Dafür kaufen manche Menschen ein schönes Reihenhaus. Sie fahren runde hundert Mal in Urlaub in die Karibik.

Oder sie genießen die absolute Alltagstauglichkeit der AMG-Fahrzeuge mit dem Potenzial eines Rennwagens. Das gilt für die AMG-Vertreter durchgängig, wobei die Massenträgheit in der M- und S-Klasse der Sportlichkeit in Kurven durchaus Grenzen setzt. Wer einmal nach einem Kurvendrift vom Pre-Safe-System der S-Klasse im wahrsten Sinn des Wortes gefesselt wurde, lässt es langsamer angehen. Auf der Autobahn sind die schweren Geräte in ihrem Element und verwöhnen mit Kraft ohne Ende bei niedrigem Geräuschniveau. Trotz sattem Motorsound.

Der Acht- und der Zwölfzylinder sind aufgrund ihrer Konstruktion völlig unterschiedliche Charaktäre. Während der Biturbo Kraft ohne Ende bereithält, braucht der V8 Drehzahl, um brachial mit Leistung aufzuwarten. Die von AMG angepasste 7G-Tronic ist eine perfekte Ergänzung für den CLK und die M-Klasse, den Newtonmeter-Orgien des V12 ist sie nicht gewachsen: Er muss sich mit einer Fünfgang-Automatik zufrieden geben, was der Freude keinen Abbruch tut.

Beim SL sind die Fortschritte fühlbar. Das Credo: Noch luxuriöser und sportlicher. Dank weiterentwickeltem AMG-Sportfahrwerk auf Basis von Active Body Control der zweiten Generation, direkterer Lenkung und neuen Hochleistungs-Bremsanlagen lässt er sich noch dynamischer bewegen. Der SL 65 AMG verfügt rundum über 30 Millimeter größere Scheibenbremsen und auch an der Hinterachse über die besonders leistungsfähige Verbundtechnik außerdem garantiert beim Topmodell ein Lamellen-Sperrdifferenzial mit einem Sperrfaktor von bis 40 Prozent optimale Traktion. Optisch erkennt man den AMG Roadster der neuen Generation am dezent aktualisierten Styling: So wurden die Frontschürzen mit einer größeren Pfeilung dynamischer gestaltet und verfügen über Nebelscheinwerfer mit Chromringen - die Frontschürze präsentiert sich zusätzlich mit seitlichen Luftauslässen zur optimalen Durchströmung des Zusatz-Motorölkühlers. Ebenfalls neu sind Grill und Felgen. Innen gibt es neue Zierteile aus Carbon und silberfarbene Schaltpaddles, sowie ein neues Kombiinstrument. Neu auch ein "Racetimer". Mit Hilfe dieser neuen Funktion kann der Fahrer Rundenzeiten auf einer abgesperrten Rennstrecke ermitteln.

Gegen den SL nimmt sich der CLK mit einer Höchstleistung von 354 kW/481 PS und einem maximalen Drehmoment von 630 Newtonmetern schon fast bescheiden aus. Aber wegen des geringeren Gewichts giert er geradezu nach Kurven und macht einfach Spaß. 4,6 Sekunden vergehen, bis 100 km/h erreicht sind. Das Cabrio benötigt eine Zehntel länger. Familientypisch sind auf Wunsch Alu-Schaltpaddles am Lenkrad. Die Automatik wurde von AMG nachhaltig verändert und soll bis zu 50 Prozent schneller agieren als die Mercedes-Variante. Im vollautomatischen Modus kostet sie trotzdem keinerlei Komfort. Der Verbrauch ist - wie nicht anders zu erwarten - deftig. 14,2 Liter sind es auf dem Papier, in der Praxis rechnet der sportliche Fahrer lieber mit 20 Prozent mehr. Was in diesen Preisregionen allerdings keine Rolle spielt.

Nochmal 2,5 Liter mehr genehmigt sich die M-Klasse. Besonders windschlüpfrig ist ein SUV einfach nicht. Wir reden hier von einem Geländewagen. Dessen Massen werden erstaunlich agil bewegt, aber hier geht es eher um Status denn um die Kurvenhatz. Der ML 63 AMG fährt sich ausgesprochen sportlich für ein Auto in diesem Segment, aber seien wir ehrlich - sein Revier ist die Langstrecke. Eine Niveauregulierung senkt die Karosserie bei höheren Geschwindigkeiten automatisch ab. 19-Zoll-Leichtmetallfelgen mit Breitreifen der Dimension 295/45 sind ebenso Serie wie die Luftfederung, eine Parameterlenkung oder ein Aerodynamik-Paket.

Wie bei den Familienmitgliedern Brüder endet auch hier der Vortrieb bei 250 km/h, fünf Sekunden vergehen bis zur 100-km/h-Marke. Die elektronisch begrenzte Höchstgeschwindigkeit lassen übrigens in Deutschland etwa die Hälfte der Kunden "entriegeln". Die Motoren knacken auf Wunsch bis auf M-Klasse die 300-km/h-Marke allesamt, wenn es denn gewünscht wird. Hier stoßen dann eher die Pneus an ihre Grenzen. Und seien wir ehrlich - 280 km/h in einer M-Klasse sind nicht zwingend notwendig. Bei den Kunden wird sicherlich die Raserei auch nicht zum Programm - es ist eher das Gefühl "ich könnte, wenn ich wollte", was hier regiert.

"One man - one engine" lautet immer noch das Motto bei AMG. Die Haustuner von Mercedes stellen wirklich tolle Autos auf die vier Räder, deren Perfektion den PS-Fetisch wirklich zum Pflichtprogramm erhebt. Leider wird das Erlebnis, ein solches Auto zu fahren, nicht allzu viele Menschen ereilen. Das Reihenhaus liegt doch irgendwie näher. Oder sogar hundert Mal Urlaub in der Karibik. (ar/sb)

Von Stephan Bähnisch


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