Fahrberichte

Mercedes-Benz R-Klasse: Vollformat, keine Frage

02.08.2006
Wer hat eigentlich bei der Neuvorstellung der R-Klasse im Frühjahr in den USA behauptet, dieses Auto sei zu groß für den europäischen Markt? Dabei ist es doch nicht länger, als die Premium-Limousinen deutscher Produktion für deutsche Straßen. Der kurze Radstand misst über alles 4,92 Meter, der lange Radstand ist nur 23 Zentimeter länger. Jeder Fahrer eines Viano oder eines Volkswagen Typ 5 kann über das Vorurteil gegenüber der R-Klasse sowieso nur lächeln.

Letztlich muss man die Entscheidung, ob zu lang oder nicht dem Käufer überlassen, zumal Mercedes-Benz mit der R-Klasse nur die Spitze des eigenen SUV-Angebots markiert. Außerdem stehen immerhin noch der gute, alte G-Daimler, die ML-Klasse und die noch junge GL-Klasse zur Wahl. Und dieses Angebot soll - wie man hört - weiter nach unten erweitert werden. Von all den existierenden Modellen hat Mercedes-Benz jedenfalls im ersten Halbjahr dieses Jahres bereits insgesamt 76 000 verkauft.

Für die Pressepräsentation der Europa-Version der R-Klasse trat Mercedes-Benz jetzt mit zwei Motorisierungen an, dem Einstiegmodell R 280 CDI 4Matic und dem Spitzenmodell Mercedes-Benz R 63 AMG 4Matic. Die Preisspanne ist fast ebenso groß wie die Leistungsdifferenz der beiden Fahrzeuge. Für den kleinen Diesel wird ein Basispreis von 49 068 Euro fällig. Er wird ab Anfang September beim Händler stehen. Ab Oktober kommt der AMG für einen Basispreis von 97 000 Euro.

Der Sechszylinder-Diesel mit fast drei Litern Hubraum leistet 140 kW (190 PS) und bietet sein maximales Drehmoment von 440 Newtonmeter (Nm) zwischen 1400 und 2800 Umdrehungen pro Minute (U/min) an. Das reicht für eine Spitzengeschwindigkeit von 210 km/h und eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 9,8 Sekunden. Der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch wird mit 9,3 Litern Diesel auf 100 km angegeben. Das darf man bei einem Fahrzeug mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 2,8 Tonnen ruhig akzeptabel nennen.

Die Werte des AMG sind in jeder Hinsicht beeindruckender: Achtzylinder-Benziner mit 6,2 Liter Hubraum, eine Maximalleistung von 375 kW (510 PS), 630 Nm Drehmoment bei 5200 U/min, 250 km/h gedrosselte Höchstgeschwindigkeit und eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 5,1 Sekunden. Der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch liegt bei 16,3 Litern. Den tatsächlichen Verbrauch bei unserer ersten Testrunde benannte der Bordcomputer mit 17,4 Litern.

Dafür erhält der Fahrer nicht nur das Bewusstsein, die R-Klasse mit Sportwagen-Fahrleistungen bewegen zu können. Schon nach kurzer Fahrpraxis stellt sich beim AMG-Fahrer das Gefühl der Souveränität ein. Er kann, wenn er will, und das eindrucksvoll für ihn selbst und seine Umgebung. Das beruhigt im Normalfall ungemein. Aber wenn man dann will, stellt sich zu keiner Zeit das Gefühl ein, den Kraft-R zu überfordern. Zur Selbstsicherheit am Steuer trägt auch die AMG Speedshift Sieben-Gang-Automatik bei, die schnell und im richtigen Moment schaltet, auch wenn der Fahrer nicht die Tasten für den Gangwechsel am Lenkrad betätigt.

Das Fahrwerk kennt zwei Fahrprogramme. Aber auch in der Sport-Schaltung wird die Luftfederung des R nicht unkomfortabel, nur ein wenig härter und mit weniger Seitenneigung in den Kurven. Der R macht sich gut in Kurven, ohne darauf spezialisiert zu sein. Seinen wahren Charakter offenbart die R-Klasse auf langen Strecken und schnellen Autobahn-Passagen.

Dann hat man Gelegenheit, den Innenraum zu genießen: elegantes Design, edle Materialien, gut ablesbare Instrumente, hervorragende Sitze mit vielen Einstellmöglichkeiten und viel Raum zu Seite, nach oben und natürlich nach hinten, in den Bereich der dritten Sitzreihe. In dieser Umgebung und bei der hohen Sitzposition stellt sich schon wieder das Gefühl der Souveränität ein. Angesichts der kompletten Ausstattung mit den Elementen der passiven Sicherheit und der Fahrerassistenzsysteme wie ESP kann sich der Fahrer getrost zurücklehnen und das schnelle Reisen konzentriert genießen.

Der permanente Allradantrieb mit elektronischem Traktions-System unterstützen die Gelassenheit am Steuer zusätzlich. In der Serienausstattung ist auch das adaptive Bremslicht enthalten, dass bei kräftigen Bremsungen blinkt und so nachfolgende Fahrer wirksamer warnt als das klassische Bremslicht. Auch ein Regensensor gehört zur Serie.

Natürlich bietet die Aufpreisliste noch viele Helferlein, die den Fahrer zusätzlich unterstützen: der radargesteuerte Abstandautomat, Komfortsitze, Sprachsteuerung für viele Funktionen, Reifendruckkontrolle, Standheizung, Parkhilfe, Bi-Xenon-Licht, Fahrlicht-Assistent und so weiter. Auch eine Rückfahrkamera ist dort zu finden. Die allerdings scheint angesichts der Dimensionen der R-Klasse sinnvoll, vor allem wenn Anhänger angekuppelt werden sollen.

Die R-Klasse ist ein Vollformat, keine Frage. Aber sie passt ebenso nach Europa wie nach Nordamerika. Sitzt man am Volant, lernt man schnell, dass man es mit einem komfortablen Familienfahrzeug mit gutem Handling, guter Übersichtlichkeit, hervorragendem Komfort und guten Fahrleistungen bereits mit dem kleinsten Diesel zu tun hat. Aber die Erfahrung lehrt, dass Meinungen vielfach stärker als Tatsachen sind. Jetzt bleibt es Aufgabe von Mercedes-Benz, die Vorurteile auszuräumen und Kunden von diesem Konzept zu überzeugen. Andere Hersteller verlassen sich darauf, dass ihre "R-Klassen" auch akzeptiert werden. (ar/Sm)

Von Peter Schwerdtmann


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