Fahrberichte

Fahrbericht Volvo V70: Der Therapeut

08.12.2004
Dass ein Volvo besonders sicher ist, wussten wir ja schon. Bisher dachte man dabei vor allem an hochfesten Schweden-Stahl oder spezielle Quer- und Längsträger, die bei einem Unfall die Aufprallenergie irgendwo hinlenken, jedenfalls weg von den Insassen. An Airbags, die sich aus allen Richtungen schützend auf die Passagiere werfen. Oder an das Seitenaufprallschutz-System SIPS, das sich die Schweden gleich mal haben patentieren lassen.

Doch nach 14 Tagen fahren mit dem Volvo V70 wissen wir es besser: Das alles ist nicht der wahre Grund für die berühmte Volvo-Sicherheit. Es ist vielmehr so, dass dieses Auto die Persönlichkeit des Fahrers verändert. Es verströmt Geborgenheit und gelassene Sanftmut und lässt Autofahrer zu meist gesetzestreuen Vertretern mutieren. Dieser ganze aufprallabsorbierende Stahl um einen herum scheint vor allem dafür da zu sein, sich all die "Draufgänger", "Drängler" und "Halbstarken" vom Leib zu halten.

So gesehen hätten sich die Volvo-Ingenieure so manche der viel beworbenen "74 Neuheiten", mit denen der ab 30 570 Euro erhältliche Kombi seit seinem jüngsten Facelift aufwartet, eigentlich sparen können. Zum Beispiel dieses neue "Blind Spot Information System", das Fahrzeuge im toten Winkel per Infrarot-Kamera erkennt und notfalls den Fahrer davor warnt. Der Volvo-Fahrer aber, entspannt und rücksichtsvoll wie er nun mal ist, hat natürlich den rückwärtigen Verkehr permanent im Auge. Der braucht keine elektronischen Hilfen, um zu wissen, was hinter ihm los ist. Man sollte Volvo hier als selbstlosen Vorreiter verstehen, an dem sich einige andere Marken ein Beispiel nehmen können.

Im V70 also gleitet man in sich ruhend und vom Rest der Welt unbeeinflusst dahin und fühlt sich vom komfortabel abgestimmten Fahrwerk angenehm gefedert. Auf Wunsch ist neuerdings das so genannte Four-C-Fahrwerk erhältlich, bei dem der Fahrer per Knopfdruck die Federn und Dämpfer für eine sportlichere Gangart und geringere Karosserieneigung straffer einstellen kann. Rein theoretisch, versteht sich.

Nahezu lautlos geht es voran, wenn man sich im Gegensatz zur großen Mehrheit der Kundschaft nicht für einen Diesel, sondern für einen Benziner entscheidet. Denn das gefahrene 2,0-Liter-Turbo-Triebwerk mit 132 kW/180 PS überzeugt nicht nur mit wunderbarer Laufruhe, sondern auch mit äußerst kultivierter und kontinuierlicher Kraftentfaltung über ein breites Drehzahlband. Und ist, wenn es denn sein muss, auch recht spurtstark: In 9,1 Sekunden geht es von null auf 100 km/h. Bei respektablen 220 km/h ist dann Schluss mit dem Vortrieb. Trotzdem greifen vermutlich nur ausgewiesene Benziner-Fans zum 2.0T; denn der kostet mindestens 34 100 Euro und liegt damit nur wenige hundert Euro unter dem beliebten Fünfzylinder-Diesel mit 120 kW/163 PS. Zudem muss man auch bei zurückhaltender Fahrweise mit mindestens zehn Litern Superbenzin je 100 Kilometer rechnen. Daneben gehen jährlich 135 Euro an den Fiskus. Auch die Versicherungen haben natürlich längst mitbekommen, wie vorbildlich Volvo-Fahrer sind, und belohnen sie mit vergleichsweise niedrigen Typklassen-Einstufungen. Für die Haftpflicht werden zum Beispiel bei der AXA-Versicherung in der Typklasse 16 bei SF1 und Großstadt-Zulassung 515 Euro pro Jahr verlangt.

Optisch hat sich am überarbeiteten V70 bis auf die neuen Klarglas-Scheinwerfer und den tiefer heruntergezogenen Grill nichts geändert. Was durchaus erfreulich ist, denn der kleinere V50, der Anfang 2004 auf den Markt gekommen ist, hat schon gezeigt, dass man bei Volvo offenbar Abschied von den Kanten nehmen will. Der V70 hingegen trägt immer noch den rechteckigen Kasten als Markenzeichen auf dem Rücken, auch wenn ihm bei seiner einstigen Paradedisziplin, dem Raumangebot, inzwischen selbst Mittelklasse-Kombis wie der Skoda Octavia Combi oder der Opel Vectra Caravan das Wasser abgraben. Vergleichsweise bescheidene 485 Liter Volumen passen in das Gepäckabteil des V70, immerhin 1 641 Liter sind es bei umgelegter Rückbank. Dafür ist das Platzangebot für die Passagiere auf allen fünf Plätzen vorbildlich.

Etwas weniger vorbildlich dagegen ist die Armaturentafel geraten. Das ist zwar alles hervorragend verarbeitet, doch die Tafel ist mit ein bisschen zu vielen und ein bisschen zu kleinen Schaltern übersät. Selbst als "in sich ruhender Autofahrer" gerät man plötzlich in Hektik, wenn man mit Hilfe der fummeligen Knöpfe einen Radiosender sucht. Wer hat da noch einen Blick für den rückwärtigen Verkehr? Vielleicht ist diese Toter-Winkel-Kamera ja doch keine so schlechte Idee.

Michael Hoffmann/mid


Erste Schritte
Anzeige