Seat erprobt Hybrid-Leon und Elektro-Altea
12.11.2011
Seit knapp einem Jahr verantwortet Dr. Matthias Rabe bei der Volkswagentochter Seat als Vorstandsmitglied die Forschung und Entwicklung. In dieser Funktion hat er zusammen mit marken-Chef James Muir maßgeblichen Anteil an einem ehrgeizigen Projekt der Spanier, das den Elektroantrieb im Volkswagen-Konzern der Serienreife wieder ein Stück näher bringen soll. Mit einer elektromobilen Flotte werden dabei ab 2012 auf den Straßen Barcelonas und Madrids zwei hochmoderne Konzepte erprobt. Zum einen die Kombination aus TSI-Benziner und Elektromotor im Seat Leon, zum anderen der reine Elektroantrieb im Seat Altea, jeweils bestückt mit Lithiumionen-Batterien.
Was bei Volkswagen in ähnlicher Weise schon seit Juni mit einer kleinen Versuchsflotte von Golf Variant „Twindrive“ erprobt wird, bekommt nun mit dem Leon Twindrive Ecomotive die besondere spanische Note im Rahmen eines Zukunftsprojekts namens Cenit VERDE. Ein 85 kW / 115 PS starker 1,4-Liter-TSI Benzindirekteinspritzer und ein ebenso starker Elektromotor bringen gemeinsam bis zu 120 kW / 163 PS auf die Straße bei einer maximalen Reichweite von 900 Kilometern. Rein elektrisch sind es immerhin noch bis zu 52 Kilometer. So benötigt der Leon Twindrive im Normzyklus nach ECE-R 101 gerade einmal 1,7 Liter Kraftstoff auf 100 Kilometer
Gegenüber manch anderem Hybridkonzept setzt Seat mit dem Plug-in-Fahrzeug stärker auf den Elektromotor, dessen Batterien in Ruhepausen über die heimische Steckdose wieder aufgeladen werden und bei dem das Benzinaggregat in erster Linie der Unterstützung dient. Bei hoher Leistungsanforderung und auf längeren Strecken wird der Benziner über ein 1-Gang-Getriebe direkt dem Antrieb zugeschaltet. Ein intelligentes Hybridmanagement sorgt dabei für den optimalen Einsatz beider Kraftquellen, wobei die Leistung stets ohne Umwege immer vom passenden Aggregat auf die Straße gebracht wird. „So behält der Leon Twindrive anders als die meisten bisherigen Hybridkonzepte seine ausgezeichnete Effizienz auch auf langen Strecken bei“, erläutert Dr. Matthias Rabe.
Was technisch kompliziert klingt, ist für den Benutzer in der Praxis genial einfach. Zündschlüssel drehen, Fahrstufe einlegen und los geht’s. Der Seat mit den zwei Motoren fährt sich völlig unspektakulär, wenn man von der gewaltigen Schubkraft des Elektromotors absieht, der den Leon unter Ausnutzung des maximalen Drehmoments von 600 Newtonmetern vom Start weg sportlich hochbeschleunigt. Das Zusammenspiel zwischen TSI und E-Maschine ist für die Insassen nicht wirklich zu bemerken. Auch deshalb nicht, weil der Benziner derart leise läuft, dass er im ruhigen Gesamtgeräuschpegel aus Abroll- und Windgeräuschen schlicht untergeht. Was sich gerade tut, zeigt allerdings das große Multifunktions-Display des Leon an, das bei Serienmodellen üblicherweise der Radio-Navigation dient. Dort sind die Antriebe symbolisiert und es lässt sich ablesen, welche Antriebsquelle gerade für Vortrieb sorgt.
Einen noch etwas größeren Schritt in die automobile Zukunft wagt der Seat Altea XL Electric Ecomotive, der sich zu 100 Prozent elektrisch fortbewegt. Auch hier hat VW mit Forschungs-Golf Blue-e-Motion Vorarbeit geleistet. Der E-Golf gewann im Herbst 2010 vor 60 Konkurrenten ein Rennen für reine Elektroautos in Großbritannien anlässlich der 1. Future Car Challenge. „Seat kümmert sich nun um die pragmatische Lösung, denn wir wollen hier in Martorell in der Zukunft einmal E-Mobile bauen“, wie Seat-Vorstandsvorsitzender James Muir bedient. Diesem Ziel dient der Flottentest.
Unter dem Blech eines Altea XL sind Antriebstechnik und Leistungselektronik hinter der Fronthaube konzentriert, während sich der üppig dimensionierte Batteriepack unter den Rücksitzen und dem Gepäckraumboden findet, so dass am Platz für Passagiere und Gepäck kaum Abstriche zu machen sind. Mit einer Kapazität von 26,5 Kilowattstunden reichen die Stromspeicher für eine Strecke von bis zu 135 Kilometern, was allerdings mit erheblichem technischem Aufwand verbunden ist. Wie schon beim Twin-Leon liefert der E-Motor 85 kW / 115 PS, bringt aber – besonders energieeffizient ausgelegt – diesmal „nur“ 270 Nm an die Räder und beschleunigt den Altea auf 135 km/h. Um keine Energie während der Fahrt zu verschenken, sorgt ein aufwändiges Rekuperationssystem mit einstellbarer Bremswirkung für zusätzliche Batterieladung, etwa wenn der E-Altea im Schub rollt und somit keine Leistung abgefordert wird.
All das führt zu einem Energieverbrauch, der im New European Driving Cycle (NEDC) mit 198 Wattstunden pro Kilometer angegeben wird. Von Verbrauchsangaben in Litern pro 100 Kilometer ist hier keine Rede mehr, auch nicht von CO2-Emissionen beim Fahren. Die leeren Batterien des Altea XL Electric Ecomotive können innerhalb von acht Stunden, etwa über Nacht, an einer normalen 220 Volt-Steckdose wieder voll aufgeladen werden. Die Ladeelektronik verträgt auch Drehstrom mit 400 Volt. Dann sind 80 Prozent der Batteriekapazität bereits in etwa zwei Stunden erreicht.
Im Praxisversuch bestätigt der Altea XL Electric Ecomotive die Erfahrung des Leon Twindrive. Er beschleunigt erstaunlich flott bei elektro-typisch sehr gleichmäßiger Leistungssentwicklung, begleitet von einem sanften, keinesfalls störenden Summen. Wiederum dient das große Display der Radio-Navigation in der Mittelkonsole der Kontrolle aller wichtigen Daten über Leistungsabgabe, Rekuperationswirkung oder Reichweite. Absolut praxistauglich ist die Fahrwerksabstimmung des E-Altea, der ja ein paar zusätzliche Kilos an Batteriegewicht mitschleppen muss. Die flotte Abfolge von Kurven oder das Bremsen aus hohen Geschwindigkeiten stellen für den Versuchsträger kein Problem dar. Alles wirkt so seriennah, dass man sich unwillkürlich fragt, warum die beiden Seat-Modelle nicht schon beim Händler stehen.
Die Antwort gibt James Muir: „Es sind offene Fragen der Infrastruktur für Elektroautos und natürlich ihr Preis.“ Der bewegt sich zwar stetig nach unten, wie Dr. Rabe weiß: „Vor zwei Jahren war die Antriebstechnologie für ein Elektromobil noch zehnmal teurer als für ein konventionelles Fahrzeug. Heute ist noch etwas das Fünffache zu veranschlagen, aber wir wissen noch nicht, wo wir in wiederum zwei Jahren stehen werden.“
Zuversicht ist dennoch angebracht. Immerhin plant Volkswagen bereits ab 2013 zahlreiche Plug-in-Hybridautos und nicht viel später den Schritt zur reinen Elektromobilität. Da wird Seat kaum nachstehen wollen. (ampnet/tw)