Formel 1: Die Hütte brennt bei Mercedes
25.08.2014
Das spanische Wort escalera bedeutet Treppe oder Leiter. Zwei Dinge, die in beide Richtungen verwendet werden können. Beim Wort Eskalation, das gemeinsame Wurzeln mit dem spanischen Begriff für Treppe nicht verleugnen kann, geht es dagegen nur in eine Richtung: aufwärts. So zu beobachten beim Rennstall Mercedes, der anlässlich des Großen Preis von Belgien die nächste Stufe einer fortschreitenden Eskalation genommen hat.
Im zwölften von 19 Rennen zur Formel 1-Weltmeisterschaft 2014 hat es gekracht zwischen den beiden Teamkollegen und schärfsten Rivalen um die Krone. Nico Rosberg hat Lewis Hamilton aus dem Rennen gekegelt. Das passiert, ist immer mit unerfreulichen Begleitumständen verbunden, manchmal auch mit handfestem Ärger und wüsten Beschimpfungen. Eigentlich ganz normal für den Rennsport, wenn sich nicht Teamkollegen gegenseitig bekriegen.
Auch derlei ist nicht einmalig, legendär das Türkei-Rennen 2012, als Sebastian Vettel und Mark Webber aneinander gerieten und drauf und dran waren, den Rennstall seiner Titelchancen zu berauben. So auch jetzt geschehen, als das gewohnte Duell Hamilton versus Rosberg in einem Trümmerfeld endete.
Nach dem Verlust seiner Pole-Position wollte Rosberg den führenden wieder kontern. Beide Autos brausten nebeneinander auf eine links-rechts-Kurve zu. In der ersten Kurve blieb Hamilton vorn, die Front von Rosbergs Boliden düste auf Höhe von Hamiltons Hinterreifen dahin. Folglich führte die nächste Wendung zu einer Berührung an dieser Stelle, mit bösen Folgen für Hamiltons Reifen / Rennaussichten / Titelambitionen sowie für Rosbergs Frontflügel / Rennaussichten.
Jeder, der gern Kabalen mag, konnte sich zu diesem Zeitpunkt gemütlich zurücklehnen und genießen. Giftig ging es teamintern und hochöffentlich zur Sache. Dank moderner Medien ist es kein Problem, seine Meinung in die Welt zu posaunen und so dürfe jede Sichtweise des Unfalls problemlos mit Expertenansichten untermauert werden können. Viele sahen einen normalen Rennvorgang, wenige einen deutlichen Fehler von Rosberg, ganz zu schweigen von Absicht.
Nach dem Malheur schleppten sich die Protagonisten an die Box. Rosberg ließ den Frontflügel tauschen und konnte das Rennen fortsetzen, das ihm den zweiten Platz und 18 Punkte einbrachte. Schadensbegrenzung derart, dass der Titel wieder etwas näher gerückt ist. Hamilton hingegen demolierte sein Auto mit dem kaputten Reifen so weit, dass er zwar weiter fahren konnte, ohne den Hauch einer Chance allerdings. Kurz vor Rennende durfte der Brite aufgeben.
Bei Mercedes brennt die Hütte. Zwar gingen sich die beiden Fahrer nicht an die Gurgel, mehr oder weniger erzwungene Zurückhaltung war gefragt. Allerdings gab es heftige Kritik an Rosberg durch die Granden des Rennstalls: Der habe einen schweren Fehler begangen, auf inakzeptable Weise die komplette Mission gefährdet. Eine Abmahnung könnte kaum schlimmer aussehen, das ist Lichtjahre von dem Vettel/Webber-Disput entfernt.
Doch es kommt noch schlimmer. Hamilton hat gegenüber der britischen Presse zum Besten gegeben, Rosberg habe Absicht eingestanden. Er, Hamilton, habe seinem Konkurrenten genügend Platz eingeräumt, der aber etwas beweisen wollen. Und hier kommt die Vergangenheit ins Spiel, in Gestalt des Rennens um den Großen Preis von Ungarn. Dort hat Hamilton nämlich eine Teamorder zugunsten von Rosberg ignoriert.
Das alles sagt viel über die Machtverhältnisse im Rennstall aus. Rosberg führt zwar, doch es scheint der falsche Fahrer zu sein, der mit den besten Aussichten auf den Weltmeistertitel dasteht. Wie schon in Ungarn hat der teaminterne Streit damit geendet, dass ein anderer gewinnt. Daniel Ricciardo, der sich zunehmen als Bester des Rests etabliert und dem aktuellen Weltmeister, Vettel, die Show stiehlt.
Der wiederum ist scheinbar mehr als angefressen. Das Auto ist nicht schnell genug, um überhaupt ganz vorn mitzufahren. Die Merkwürdigkeit, dass der Neuling offenkundig mit besserem Material unterwegs ist, als der vierfache Weltmeister, lässt sich nicht recht erklären. Für Red Bull könnte das zum Problem werden, denn ein Fahrer der Qualität von Vettel wird sich nur mit entsprechend gutem Auto halten können.
Vettel ist nur Sechster im Fahrerklassement. Neben den beiden Mercedes-Fahrern ist auch noch sein Teamkollege deutlich vor dem Weltmeister. Außerdem Fernando Alonso, der sich davon als Vierter genausowenig kaufen kann wie in den Vorjahren. Schließlich liegt mit Valtteri Bottas ein junger Finne einen Platz vor Vettel, der auf einem Williams unterwegs ist und offenkundig immer stärker wird. Vier Podien aus den letzten fünf Rennen – eine stolze Quote, der noch der krönende Sieg fehlt.