Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich gänzlich ungeniert. Dieser Slogan, angeblich vom deutschen Kabarettisten und Schauspieler Werner Kroll 1945 geprägt, scheint heute perfekt zum Dieselmotor im Pkw zu passen. Obwohl nach der VW-Abgasaffäre verteufelt, kletterten im ersten Halbjahr 2016 die Neuzulassungen dieser Autos in Deutschland auf die Rekordhöhe von 812 000 Exemplaren. In den USA, wo die Selbstzünder durch die Manipulationen von VW zuerst in Verruf gerieten, wächst die Zahl der Dieselkunden dennoch ungebremst. An der Autoindustrie in Detroit und Umgebung ist diese Entwicklung natürlich nicht unbemerkt vorbeigegangen. So war bereits jenseits des Atlantiks in der Presse in Anlehnung an das berühmte Plakat, das 1917 US-Soldaten zu den Waffen rief, zu lesen: „Betrayed VW TDI Drivers, GM Wants You." Noch ist es freilich nicht so weit, dass "von VW betrogene TDI-Fahrer" wie "von GM gewollt", in Scharen zu General Motors überlaufen. Das Interesse amerikanischer Kunden für Pkw mit Dieselmotor ist immer noch überschaubar, die Zulassungszahlen lagen bislang stets im unteren einstelligen Prozentbereich. Das liegt einerseits daran, dass Dieselkraftstoff in den USA landesweit teurer ist als Benzin, nur jede zweite Tankstelle Diesel führt und die meisten Amis diesen Stoff besser zum Schwerlastverkehr passend finden. Andererseits ist durch den weitgehenden Rückzug der Dieselmodelle von VW aus dem US-Markt eine spürbare Lücke entstanden. Genau in diese Lücke will GM jetzt stoßen. Nicht nur deshalb geht Autozulieferer Bosch, der die meisten Hersteller weltweit mit Techniken zur Abgasnachbehandlung versorgt, jetzt schon davon aus, dass der geringe Diesel-Anteil in den USA bis 2018 auf zehn Prozent klettern wird. Dan Nicholson, Vice-President bei General Motors und dort weltweit für Antriebssysteme verantwortlich, hat festgestellt: „Es gibt bei uns immer mehr Menschen, die den Dieselantrieb wollen, ihm loyal gegenüberstehen und nach einem Hersteller suchen, der ihren Wünschen entspricht." Anfang August erläuterte Nicholson bei einer Veranstaltung des renommierten Center for Automotive Research der University of Michigan seine Bemerkung: „Diese Kunden sind technisch versierter als der Durchschnittskunde, und sie wissen um die Vorteile, die ein Diesel bietet. Ihnen werden wir entgegenkommen." Nicholsons Meinung nach gehören die USA zu jenen Pkw-Märkten auf der Welt, auf denen in Zukunft ein spürbares Wachstum beim Absatz von Diesel-Pkw zu verzeichnen sein wird. Momentan, so der Manager, gebe es bei GM eine starke Nachfrage für die Dieselversionen des Chevrolet Colorado und des GMC Canyon. Beide Autos kamen wegen des VW-Skandals etwas später auf den Markt, weil die US-Aufsichtsbehörden strengere Abgastests in Kraft gesetzt hatten. Für das kommende Jahr verspricht General Motors ein neues Dieselaggregat für seinen Kleinwagen Chevrolet Cruze, das mit über 1,3 Millionen verkauften Exemplaren pro Jahr weltweit meistverkaufte GM-Modell: 1,6 Liter Hubraum, 100 kW / 136 PS Leistung, maximales Drehmoment 320 Nm bei 2000 Umdrehungen pro Minute. Diese Maschine laufe so ruhig, dass ihr die Ingenieure den Namen „whisper diesel" gegeben hätten. Spätestens bei diesem Begriff („Flüsterdiesel") dürfte zumindest bei Opel-Kennern der Groschen fallen. Handelt es sich doch um den gleichen Motor, den GM-Tochter Opel seit einem Jahr für die Sparversion seines Mittelklassemodels Insignia anbietet und ihn mit diesem Slogan in der Werbung bezeichnet. General Motors ist indes nicht das einzige Automobilunternehmen, das für den amerikanischen Markt eine Diesel-Offensive ankündigt. Auch der japanische Autobauer Mazda steht in den Startlöchern. Skyactiv-Technik nennen die Japaner ihre Taktik, Dieselabgase sauberer zu machen. Dazu gehören ein für Dieselmotoren niedriges Verdichtungsverhältnis von 14:1 und weitere technischen Innovationen. Das Resultat: viel Leistung, wenig Verbrauch und geringe Emissionen. Masamichi Kogai, Präsident und Chief Executive Officer (CEO) der Mazda Motor Corporation, verriet kürzlich der Fachzeitschrift „Automotive News“, dass sein Unternehmen demnächst die zweite Stufe dieser Technologie spätestens bis 2019 vorstellen werde. „Damit gehen wir auch in die USA", versprach Kogai. „Unser Fahrplan steht schon fest." Die neue USA-Diesel-Euphorie ist freilich nicht nur mit der plötzlichen Liebe amerikanischer Autokäufer zu den Selbstzündern zu erklären. Deren Bedarf decken jenseits des großen Teichs vor allem BMW, General Motors, Jeep, Land Rover und Mercedes-Benz. Eine eher noch größere Rolle spielen die US-Abgasvorschriften, die sich von den europäischen besonders darin unterscheiden, dass sie zwar zwischen den Bundesstaaten Unterschiede, nicht aber zwischen den einzelnen Kraftstoffarten machen. Und nicht nur in Europa, auch in den USA steht demnächst eine weitere radikale Verschärfung dieser Vorschriften ins Haus. In ihnen werden weitere Grenzwerte zu bestimmten Abgasbestandteilen und sogenannte Flottenmittelwerte eingeführt. Diese sind ohne Diesel in punkto Verbrauch und CO2-Ausstoß kaum zu erreichen. Das liegt sowohl an der höheren Energiedichte des Dieselkraftstoffs, als auch an der stärkeren Verdichtung des Luft-Kraftstoff-Gemischs im Motor. Darüber hinaus machen Katalysator, Stickoxid-Speicher-Kat, Harnstoff-Einspritzung und Rußfilter den Dieselmotor auch was Feinstaub, Stickoxide und andere Schadstoffe im Abgas angeht, fit für die Zukunft. (ampnet/hrr)